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Ein Theaterstück wie ein einsamer Abend am Smartphone: "Broadcast Yourself" vom Digitaltheater

Das Menschheits-Archiv

YouTube wird in diesem Jahr 20 Jahre alt. Das Digitaltheater untersucht das Phänomen in der Inszenierung  Broadcast Yourself.

Ein junger Mann steht im Zoo von San Diego vor dem Elefantengehege und sagt: „Das Coole an Elefanten ist,  dass sie so lange Rüssel haben.“ Das 19 sekündige Video Me at the Zoo ist das allererste, das auf die  Videoplattform YouTube hochgeladen wurde. Das war am 23. April 2005, zwei Monate nach ihrer Gründung.  Ursprünglich war der Plan der Gründer und ehemaligen PayPal Mitarbeiter Chad Hurley, Steve Chen und Jawed Karim ein anderer gewesen. YouTube war eigentlich als Datingplattform gedacht. Doch schon wenige  Tage, nachdem die ersten Videos hochgeladen worden waren, stellten sie fest, dass die Menschen lieber über  ihre Haustiere oder ihren letzten Urlaub sprachen, als ein Date zu suchen. Die Gründer reagierten umgehend  und änderten das Konzept in ein allgemeines Videoportal, bei dem die Nutzer:innen die Videoinhalte selbst  bestimmen konnten. Unter dem Slogan „Broadcast Yourself“ („Sende dich selbst“) war es ab sofort allen  Menschen möglich, sich per Video vor einem Millionenpublikum zu präsentieren. Das Versprechen YouTubes war revolutionär: Jede:r von euch kann zu einer berühmten Person werden – ihr müsst diese Chance nur  ergreifen! 

Und es stimmte: Man brauchte lediglich eine Digitalkamera, einen Computer und eine Idee. Das führte dazu,  dass es auf YouTube bald nichts gab, was es nicht gab: Lustige Haustiere; eine Braut, die sich auf ihre  Hochzeit vorbereitet; ein Autofahrer, der Schwierigkeiten hat, aus einer Parklücke herauszukommen; Schnee,  der auf ein Fensterbrett fällt; ein Spaziergang im Regen; Tipps für das perfekte Partyoutfit; ein Mädchen mit  Pfeil und Bogen; ambitionierte Kurzfilme; unzählige Kochrezepte; eine Yogastunde zum Nachmachen … Die Liste ist unendlich – und wird immer länger.

Ein Jahr nach seiner Gründung wurden täglich 65.000 neue Videos auf YouTube hoch geladen und es  verzeichnete über 20 Millionen Nutzer:innen. Eine kollektive Euphorie war zu spüren über diese völlig neue,  demokratische Form des Internets, die allen offen stand. YouTube bot einen nie da gewesenen Raum für 
Kreativität und Gemeinschaft. Man tauschte sich aus, teilte Interessen und Ängste, unter stützte sich beim  Coming Out oder erschuf gemeinsam Kunst. Es war eine Kultur des Teilens und der allgemeinen Positivität.

Heute, 20 Jahre später, nutzen 2,5 Milliarden Menschen YouTube, 14 Milliarden Videos sind hochgeladen  worden. Die Plattform hat sich professionalisiert und kommerzialisiert. Der Mehrwert etwa durch  Wissensformate oder Sportangebote ist unumstritten. Doch gibt es auch kritische Stimmen. Von einer Antidemokratisierung ist die Rede, von einer Spaltung der Community durch starre, undurchschaubare  Algorithmen, die den Radius der empfohlenen Videos einengen. Ein gigantischer Anteil der Videos ist für die  Nutzer:innen dadurch gar nicht sichtbar und zwar derjenige, der YouTube einst ausgemacht hat: die  ungeschönten Laien Videos mit spontanen, ungeprobten Inhalten. Umso mehr im Mittelpunkt stehen dafür die  großen Influencer:innen, die Stars des Internets, mit ihren Beauty , Lifestyle und Fitness Blogs oder speziellen  Gaming Channels. Und auch die AfD profitiert enorm von YouTube. 

In Broadcast Yourself – Ein Theaterstück wie ein einsamer Abend am Smartphone untersucht der Regisseur  Kevin Barz dieses Archiv der modernen Menschheit anhand von 100 exemplarischen YouTube Videos. Drei  Schauspieler:innen leihen ihnen Körper und Stimmen und verschmelzen untrennbar mit der Videowall hinter ihnen. Als Ort dient uns zum ersten Mal das Neue Entrée, das mit seiner lockeren Atmosphäre – und natürlich  durchgängig geöffneter Bar – hervorragend zu diesem Theaterabend passt! 

Textbeitrag von Dramaturgin Anna-Teresa Schmidt